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Von der Erprobung zur Verbreitung: Der digitale Gewaltschutzmonitor

Das Tool steht - die praktische Umsetzung und Anwendung kann beginnen! So in etwa lässt sich der aktuelle Stand im Projekt zu Monitoring und Evaluierung des Gewaltschutzes in Unterkünften für geflüchtete Menschen am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) auf den Punkt bringen. Aktuelle Einblicke in das Projekt gibt die Projektleiterin Dr. Kristina Seidelsohn im Gespräch mit der Servicestelle Gewaltschutz.

Gewaltschutzkonzepte für die Unterbringung von geflüchteten Menschen, seien es unterkunftsspezifische oder -übergreifende Schutzkonzepte, seien es Konzepte von Betreiberorganisationen oder von öffentlichen Trägern auf kommunaler oder Landesebene, sind Ergebnisse von oftmals umfangreichen Prozessen und haben den Zweck, die Qualität in der Unterbringung von geflüchteten Menschen zu verbessern. Orientiert an den „Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ geht mit der Etablierung von Gewaltschutzkonzepten der Anspruch einher, die im Schutzkonzept gebündelten Maßnahmen effektiv und praxiswirksam im Alltagsgeschehen der Unterkünfte zu verankern. Auch sollten Gewaltschutzkonzepte, wenn erforderlich, an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden. Hierfür ist ein systematisches Monitoring der Umsetzung des Schutzkonzeptes mit anschließender Evaluierung der erhobenen Daten besonders sinnvoll. Denn es ermöglicht eine evidenzbasierte Fortschreibung von Gewaltschutzkonzepten.

Dem Thema Monitoring und Evaluierung von Gewaltschutzkonzepten widmet sich das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in zwei aufeinanderfolgenden Projekten. Im Rahmen des Projektes „Monitoring und Evaluierung eines Schutzkonzeptes für geflüchtete Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ (2019 – 2020) hat das Projektteam um Dr. Olaf Kleist einen digitalen Gewaltschutzmonitor im Austausch mit Zivilgesellschaft, Verwaltung, und Gewaltschutzkoordinator:innen sowie einem wissenschaftlichem Beirat entwickelt und in Kooperation mit zwei Bundesländern in jeweils einer Aufnahmeeinrichtung erprobt.

Im Anschlussprojekt „Monitoring und Evaluierung eines Schutzkonzeptes für geflüchtete Menschen in Flüchtlingsunterkünften: Skalierung und Vertiefung“ (2021 – 2022) wird das Monitoringinstrument unter der Leitung von Dr. Kristina Seidelsohn weiterentwickelt und an verschiedene Kontexte angepasst, sodass es interessierten Landesbehörden zur Verfügung gestellt werden kann. Besonderes Augenmerk legt das Projektteam des DeZIM hierbei auf die Anpassung des modularen Instruments an die jeweiligen Rahmenbedingungen in den Bundesländern und Unterkünften.

Wie die Anpassung des Monitoringinstruments konkret abläuft, was mit den erhobenen Daten passiert und wie diese genutzt werden können, um den Gewaltschutz zu verbessern, das erläutert Dr. Kristina Seidelsohn im Gespräch. Das Interview führte die Servicestelle Gewaltschutz.

 


 

Frau Dr. Seidelsohn, der digitale Gewaltschutzmonitor ist fertig und wurde in zwei Aufnahmeeinrichtungen pilotiert. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie aus der Pilotierung mitnehmen?

"Der digitale Gewaltschutzmonitor konnte in der Pilotierungsphase auf wichtigen Vorarbeiten durch UNICEF seit 2017 aufbauen und von einer umfangreichen Evaluation an zwei Pilotstandorten in mittelgroßen Aufnahmeeinrichtungen profitieren. Hierdurch wurden zum einen wichtige Einblicke in die Funktionsweisen des Gewaltschutzes gewonnen, zum anderen diente die Auswertung der Ergebnisse einer notwendigen Auswahl der wichtigsten Indikatoren für das Monitoring und ihrer Gewichtung. In einem anschließenden partizipativen Verfahren wurden diese Indikatoren dann einer Begutachtung und Kommentierung unterzogen, durch die Pilotstandorte selbst, aber auch durch NGOs, die Bundesinitiative und andere Wissenschaftler:innen mit Fachexpertise. Durch den konsultativen Charakter der Entwicklung des digitalen Gewaltschutzmonitors in der Pilotierungsphase, insbesondere durch die Einbeziehung der verschiedenen Blickwinkel bei der Indikatorenentwicklung, gelang es, ein Instrument zu entwickeln, was die verschiedenen Perspektiven und Zugänge, einschließlich der Bewohner:innen selbst, mit erfassen kann.

Die wichtigste Erkenntnis, die wir aus der Pilotierung für das Folgeprojekt mitnehmen, ist daher, dass Gewaltschutz nicht in einem „top-down-Verfahren“ durch die Einrichtungen implementiert werden kann, sondern von der Einbeziehung verschiedenster, relevanter Akteur:innen immens profitiert.

Für die Umsetzung des Gewaltschutzes bedarf es einer ständigen Zusammenarbeit der Mitarbeitenden auf allen Ebenen und mit den Bewohner:innen selbst. Hierbei müssen die jeweiligen Bedürfnisse einbezogen und die Gewaltschutzmaßnahmen auf die Bedingungen vor Ort angepasst werden, damit Gewaltschutz möglichst dauerhaft umgesetzt werden kann und wird. Trotz des partizipativen Prozesses der Indikatorenentwicklung bedarf es hierfür einer beständigen Weiterentwicklung und Anpassung des Gewaltschutzes an die lokalen Bedürfnisse und Schutzkonzepte, aber auch einer breiten Anwendung in der Fläche. Diesen Bedarfen soll in unserem Anschlussprojekt Rechnung getragen werden."

 

In diesem und kommenden Jahr arbeiten Sie mit Ihrem Team an der Skalierung des Gewaltschutzmonitors. Wie läuft die Skalierung konkret ab?

"Die Zielgruppe für die Einführung und Verbreitung (Skalierung) bilden die Landesministerien und nachgeordnete Behörden, welche wiederum mit den Aufnahmeeinrichtungen zusammenarbeiten.

Das Ziel des Projektes ist es, ein möglichst einfaches, digitales Tool zur Selbstreflexion in den Unterkünften sowie zur Weiterentwicklung des Gewaltschutzes bereitzustellen und den teilnehmenden Landesbehörden eine autonome Fortführung des Gewaltschutzmonitorings zu ermöglichen.

Hierfür wird das Monitoringinstrument modular auf die Rahmenbedingungen der jeweiligen Bundesländer und Unterkünfte angepasst. Im engen Austausch mit den jeweiligen Landesministerien, Behörden, Gewaltschutzkoordinator:innen, Unterkunftsleitungen und weiteren für den Gewaltschutz relevanten Akteur:innen gilt es, die Datenerfassung, -ausgabe und -visualisierung bundeslandspezifisch abzustimmen und für eine landesweite Nutzung zu skalieren bzw. anzupassen. Das bedeutet konkret, dass wir Gewaltschutzkonzepte der Bundesländer in für sie relevante Fragen im Monitoringsinstrument übersetzen, diese in Feedbackgesprächen mit den Mitarbeitenden reflektieren und ggf. weiter überarbeiten und damit an die verschiedenen Bedürfnisse und Gegebenheiten der Unterkünfte vor Ort anpassen.

Zusammen mit den kooperierenden Landesaufnahmebehörden werden im Anschluss an diesen Anpassungsprozess Schulungen für die am Schutzmonitoring teilnehmenden Einrichtungen angeboten, entweder vor Ort oder Online. Die Schulungen zielen auf die datenschutzkonforme und gewaltschutzsensible Auswertung der Monitoringdaten sowie die Möglichkeiten der Einbeziehung der Bewohner:innen beim Gewaltschutz für Betreiber der jeweiligen Landesaufnahmebehörden sowie die Leitung und relevanten Mitarbeitenden der teilnehmenden Unterkünfte. Darüber hinaus werden technische Schulungen angeboten, in denen technisch ungeschultes Personal dazu befähigt wird, selbst Fragen anzupassen und weitere Fragen in den jeweiligen Mindeststandards und länderspezifischen Standards in das Surveytool einzupflegen."

 

Welche Voraussetzungen sollten gegeben sein, damit interessierte Landesbehörden den digitalen Gewaltschutzmonitor nutzen können?

"Interessierte Landesbehörden benötigen zunächst einmal kein eigenes Gewaltschutzkonzept. Es können auch unterkunftsspezifische Gewaltschutzkonzepte vorliegen, die dann in einem partizipativen Prozess auf Gemeinsamkeiten hin diskutiert werden. Das Monitoringinstrument kann auch eingesetzt werden, wenn ein Gewaltschutzkonzept durch die Landesbehörden aktuell erarbeitet oder evaluiert wird, da es sich um ein flexibles Tool handelt, das immer wieder autonom von den teilnehmenden Bundesländern angepasst und fortentwickelt werden kann.

Grundlegende Voraussetzung für die Nutzung des digitalen Gewaltschutzmonitors ist die Orientierung an den Mindeststandards, da diese den zentralen Ankerpunkt der Indikatoren bilden.

Darüber hinaus sollte eine zentrale Ansprechperson in den Landesbehörden benannt werden, die den Einbezug der Mitarbeitenden in den Unterkünften und den partizipativen Feedbackprozess für die Anpassung des Fragekatalogs koordiniert und fördert. Gleiches gilt für die Benennung einer Ansprechperson für die technische Umsetzung und Administration sowie die Bereitstellung der IT-Infrastruktur.

Das Monitoringtool wird auf der Ebene der Bundesländer zentral installiert, die Speicherung der Daten erfolgt jedoch dezentral auf der Ebene der einzelnen Unterkünfte. Hierfür wird jeweils ein:e Administrator:in benötigt, um die Speicherungen und Backups fachgerecht zu verwalten. Grundsätzlich sind die technischen Anforderungen jedoch gering, das Tool funktioniert vergleichbar mit anderen gängigen Software-Installationen bzw. Applikationen und unser beauftragtes IT-Unternehmen „Cause & Effect“ stellt umfassende Beratung und Unterstützung für die technische Umsetzung bereit. Zudem sind die Bereitstellung, Anpassung und Implementierung des Gewaltschutzmonitors für die Landesbehörden kostenlos."

 

Sagen wir, der Gewaltschutzmonitor ist jetzt an die spezifischen Bedingungen in einem bestimmten Bundesland angepasst und die Voraussetzungen sind gegeben. Wie erfolgt die Nutzung in der Praxis?

"Die Nutzung des Gewaltschutzmonitors erfolgt in der Praxis durch die Mitarbeitenden in den teilnehmenden Unterkünften, aber auch durch die Bewohner:innen selbst. Hier werden einrichtungsspezifisch Personen in verschiedenen Funktionen für die Teilnahme benannt, bspw. Gewaltschutzkoordinator:innen, Sozialarbeiter:innen, Betreuungspersonen, Sicherheitspersonal etc. Die Fragen sollten dann möglichst in einem bestimmten ‚Erhebungszyklus‘ beantwortet werden, der durch den/die Administrator:innen in der jeweiligen Unterkunft gesteuert wird. So erstellt der/die Administrator:in verschiedene Nutzer:innenprofile und versendet die Fragebögen in einem bestimmten Turnus per E-Mail an die relevanten Mitarbeitenden. In der Regel sieht das Tool eine quartalsweise Erhebung der Daten vor, wobei Gewaltvorfälle und Belegungs-zahlen monatlich erhoben werden sollten und bestimmte Daten auch jährlich abgefragt werden, z.B. Hausordnungen. Die regelmäßige Teilnahme an der Beantwortung der Fragen ermöglicht es dann, die Verläufe und Entwicklungen des Gewaltschutzes über die Zeit zu erfassen und visuell darzustellen. Die Datensicherheit wird gewährleistet durch eine sogenannte 2-Faktor-Authentifizierung, hohe Anforderungen an die Passwortsicherheit bei den Nutzer:innenprofilen und die dezentrale Speicherung der Daten, so dass keine auf Bundeslandebene aggregierte Daten ausgegeben werden können.

Die Auswertung der Daten erfolgt durch einen engen Austausch der gewaltschutzrelevanten Mitarbeitenden und möglichst auch durch den Einbezug der Bewohner:innen-Perspektive. Um diesen Auswertungsprozess zu unterstützen, bieten wir die bereits erwähnten Schulungen für eine datenschutzkonforme und gewaltschutzsensible Auswertung an. Wir werden die Datenauswertung auch ein Stück weit begleiten durch kurze, anonyme Befragungen der Mitarbeitenden zu ihren Erfahrungen mit der Nutzung des Tools. Zudem werden wir eine Evaluation des Gewaltschutzes an zwei Standorten durchführen, durch die wir weitere Einblicke und Erfahrungen bei partizipativen Auswertungsprozessen der Gewaltschutzdaten sammeln und diese wiederum in die Schulungen für das Monitoring-Tool einfließen lassen können."

 

Zum Abschluss: Was sind die nächsten Schritte im Projekt?

"Insgesamt zeigt sich erfreulicherweise ein großes Interesse vieler Landesbehörden am Gewaltschutzmonitor, sodass ein intensiver Austausch und erste Kooperationen entstanden sind. Die nächsten Schritte im Projekt beziehen sich daher auf die Feedbackgespräche zu unseren Anpassungen der Fragebögen für die kooperierenden Landesbehörden und die Vorbereitung der Schulungen sowie der technischen Implementierung des Tools. Gleichzeitig führen wir weitere Erstgespräche mit interessierten Bundesländern und bereiten eine Evaluation an zwei Standorten vor. Um die Nachhaltigkeit des Monitorings zu unterstützen, arbeiten wir an der Etablierung eines bundesweiten Netzwerks der Zielgruppen. Hierfür werden wir voraussichtlich mit der Bundesinitiative kooperieren und in diesem Rahmen ein Bundesnetzwerktreffen für Schutzmonitoring in Flüchtlingsunterkünften organisieren. Als Wissenschaftler:innen planen wir die Teilnahme an nationalen und internationalen Fachkonferenzen und bereiten Publikationen zum Thema politischer Mobilisierung und Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften vor."

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 


 

Weiterführende Infos

Weitere Informationen zum Projekt "Monitoring und Evaluierung eines Schutzkonzeptes für geflüchtete Menschen in Flüchtlingsunterkünften: Skalierung und Vertiefung" finden Sie auf der Webseite des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung.

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